42. Literarischer Herbst - Nora Schramm — Hohle Räume

Altes Gefängnis

Fr
15. Nov
2024
Beginn
20:00
Preis: 10,00 €
Veranstaltungsort
Altes Gefängnis
Obere Domberggasse 16, 85354 Freising, Deutschland

Die Veranstaltung

Die Menschen in diesem Roman lassen sich fast an den Fingern einer Hand abzählen, so wenige sind es. Dafür gibt es Dinge zuhauf. Sie müssen repräsentieren, wenn es Wohnaccessoires sind, werden ausgemistet, wenn sie zu Unpersonen gehören, werden im Keller gehortet, sortiert und beschriftet. Unter einem Bett liegt sogar ein kompletter Hochzeitsanzug, wie ein knochenloser Mensch. Auf jeden Fall beanspruchen sie Aufmerksamkeit und Lebenszeit der Menschen.
Helene, erfolgreiche Installationskünstlerin mit Ausstellungen in Kopenhagen und New York, kommt von Berlin auf Elternbesuch in einen Wohlstandsvorort von Stuttgart. Dort haben die Eltern vor Jahrzehnten ein Haus gebaut. Nun stehen sie nach vierzig Jahren Ehe vor der Scheidung. Noch wohnen sie zusammen – oder eher nebeneinander – im Haus. Beide holen die Tochter vom Flughafen ab, „aber nicht gemeinsam“, wie diese schon von weitem bemerkt. Sie sieht „die beiden wie durch einen Tunnel, oder eher ein Mikroskop, klar und fokussiert und hell erleuchtet.“ Diesen Blick behält die Ich-Erzählerin während des ganzen Romans, erlaubt sich nur selten etwas milde Unschärfe.
Nora Schramm hat ihre Protagonistin mit einer ebenso nuancierten wie geübten und zuverlässigen Beobachtungsgabe ausgestattet. Dazu kommen Präzision und Bilderreichtum im sprachlichen Ausdruck. So liefert Helene dem Leser die überzeugende Darstellung eines gut situierten Paares, das sich Jahrzehnte lang offenbar in die falsche Richtung bewegt hat. Der Vater hat zwar Medizin studiert, musste aber bald feststellen, dass ihn am Arztberuf eigentlich die Menschen stören. So arbeitet er immer noch als Berater für eine Pharma-Firma. Für Helene, überhaupt für die Familie, scheint der Vater nie wichtig gewesen zu sein. Anders die Mutter. Trotz Studium ist sie Hausfrau geblieben, hat sich um die Familie gekümmert und alles herbeigeschafft, was Behaglichkeit erzeugt, Decken, Kissen, schönes Geschirr.
Eine Zeitlang gab es ein Pflegekind in der Familie, Molly, etwa so alt wie Helene. Die Mutter förderte ihr musikalisches Talent. Sängerin sollte sie werden und war eines Tages verschwunden. Doch wie es so ist bei etwas konturlosen Besuchen in der Vergangenheit: Es kommt zu unerwarteten Begegnungen. Ein alter Mitschüler taucht auf, kaum wiederzuerkennen. Aber er hat Verbindung zu Molly, die hier im Viertel lebt, mit Mann und zwei kleinen Mädchen.
Das war der richtige Moment, denn Molly rettet vieles. Die Mutter hat sich bei einem Treppensturz die Hüfte gebrochen und Helene, in ihrer Gefühlserstarrung, lässt sie tagelang fast ohne Versorgung auf der Couch liegen. Molly kümmert sich. Helene hat inzwischen mit etlichen Tonnen Sand das Elternhaus in Kunst verwandelt.

Nora Schramm, 1993 in der Südpfalz geboren, studierte Fremdsprachen und Kulturwissenschaften in Gießen sowie Theorien und Praktiken professionellen Schreibens in Köln. Ihre Arbeit wurde durch Stipendien gefördert, u. a. durch die Jürgen-Ponto-Stiftung. Für ihre Lyrik erhielt sie 2022 den Preis des Textstreich-Wettbewerbs für neue Lyrik. Der vorliegende Roman ist ihr Debüt.

Mitveranstalter Bücher Pustet
Eintritt: 10 Euro / erm. 5 Euro

Info

Veranstalter Modern Studio Freising e. V.
Veranstalter-Adresse Haxthausen 14, 85354 Freising, Deutschland
Quelle Stadt Freising
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